Machine Learning & the Day after Corona - muss die Glaskugel neu justiert werden?

Apostolos Kouzoukos

Geschrieben von: Apostolos Kouzoukos - 27 Juli 2020
(Aktualisiert am: 21 Juni 2023)

Die Welt wird nach Corona eine andere sein, da sind sich die meisten Experten sicher, aber was bedeutet dies für Ihre Prognosen und Planungstools? Man muss kein Hellseher sein, um vorauszusagen, dass sich durch die Krise Marktanteile verschieben und Verhaltensmuster von Kunden stark verändern werden. 

Alleine in der Airline-Branche führen Insolvenzen und eine stärkere Konsolidierung dazu, dass sich die Branche einem massiven Wandel unterziehen wird. Hinzu kommt, dass die durch die Krise fast schon alternativlos notwendig gewordene Videokonferenz einen Trend zu deutlich weniger Geschäftsreisen erwarten lässt. Diese Form an Veränderungen werden auch in anderen Bereichen zu beobachten sein und Branchen wie den Automobilsektor, den Tourismus oder den Handel langfristig beeinflussen. Aber was bedeutet dies nun für Ihre Machine Learning Modelle? Können Muster aus historische Daten noch verlässliche Indikatoren bleiben, um die Entwicklung der Zukunft zu antizipieren? Oder sollten wir wieder zu archaischen Mitteln wie dem beliebten Excel-Sheet zurückgreifen, um den nächsten Planungszyklus einigermaßen zu überstehen?

Die Antworten darauf sind von verschiedenen Faktoren abhängig:

  1. Welchen Einfluss erwarten Sie durch die Krise auf Ihr Geschäftsmodell?
  2. Wie weit ist eine modellbasierte Planung in Ihrem Unternehmen akzeptiert?
  3. Haben Sie Data Science Kompetenz im eigenen Haus?
  4. Welche Tools stehen Ihnen zur Verfügung?

Lassen Sie uns Schritt für Schritt die einzelnen Faktoren genauer beleuchten und uns die Frage stellen, was wir aus dem Vorgehen der Epidemiologen zur Bewertung der Corona-Krise lernen und adaptieren können.

Welchen Einfluss erwarten Sie durch die Krise auf Ihr Geschäftsmodell?

Die Corona-Pandemie und der daraus resultierende Lockdown kann als besonderes Geschäftsereignis verstanden werden, der Einfluss auf den kurz- aber auch langfristigen Wachstumstrend des Unternehmens haben wird. Dabei gibt es drei Phasen, die zur Einschätzung und Entwicklung in Betracht gezogen werden müssen:

  1. Der Zustand vor Eintritt der Krise
  2. Der Impuls in direkter Folge des Ereignisses
  3. Der nachhaltige Effekt nach Ende der Krise

Entwicklungsphasen-Krise-Unternehmensplanung

Der Impuls dieser Krise kann in folgende Kategorien unterteilt werden:

modell 2_neuEs ist bei länger andauernden Krisen auch durchaus möglich, dass Kombinationen aus den genannten Impulsvarianten im Laufe der Krisenbewältigung auftreten oder gar überlagert werden. Für eine Einschätzung, welche Variante im Krisenverlauf für Ihr Unternehmen zu erwarten ist, sind die individuellen Meinungsbilder Ihrer Fachexperten und Führungskräfte unerlässlich. Prognose-Modelle, die ausschließlich auf historischen Daten beruhen, werden gerade in Zeiten eines einmaligen historischen Ereignisses wie der aktuellen Pandemie, die zukünftige Entwicklung nicht korrekt antizipieren können.

Sind damit Machine Learning Verfahren etwa gar nicht verwendbar und zeigen jetzt ihre Abhängigkeit zu historischen Daten und damit ihre Verwundbarkeit, die Zukunft unter veränderten Bedingungen vorherzusagen? Die Antwort lautet nein! Sie sind nicht überflüssig, sondern gerade jetzt müssen die Modelle mit empirischem Wissen aus den Business Einheiten angereichert und justiert werden, was uns zum nächsten Punkt überleitet.


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Wie weit ist eine modellbasierte Planung in Ihrem Unternehmen akzeptiert?

Die aktuelle Situation verlangt vor allem ein schnelles und entschlossenes Handeln bei stark eingetrübter Sicht. Nicht wenige greifen in dieser Not wieder zu altbewährten Werkzeugen wie dem Excel-Sheet, mit denen sie ihren schwarzen Gürtel in Tabellenkalkulation voll zur Geltung bringen können. Oft fällt man damit wieder in alte Planungsmethoden und veraltete Techniken zurück, die vielleicht schnelle und leicht zu verstehende Ergebnisse liefern können, aber nicht zwingend korrekt sein müssen. Gerade komplizierte Abhängigkeiten sind auf diese Weise nicht mehr zu modellieren und resultieren meist in Trugschlüssen und einer Scheinreduktion komplexer Zusammenhänge, was gerade bei der Simulation verschiedener Zukunftsszenarien Fehlinterpretationen zur Folge haben könnte.

Machine Learning Modelle (ML-Modelle) genießen den Ruf nicht gerade besonders transparent zu sein und werden daher oft auch als “Black-Box Modelle” bezeichnet. Tatsächlich ist der Preis von ML-Modellen, die in der Lage sind komplexe Strukturen in Daten zu erkennen, eine nicht selten schwere bis unmögliche Interpretation der erkannten Muster. Mit Techniken wie LIME, Shapley Values oder Feature Importance versucht man zwar etwas Licht ins Dunkel zu bringen, die Ergebnisse aus diesen Verfahren wirken für einen Manager oder Anwender aus der Business Unit jedoch meist kryptisch und nicht sonderlich intuitiv. Umso entscheidender ist das Zusammenspiel von Business Einheiten und Data Science Teams in der Erstellung, Interpretation und der Anwendung dieser Modelle im täglichen Geschäftstreiben. Unternehmen mit einem stärker verankerten Mindset von datengetriebenen Entscheidungsunterstützungen werden sich deutlich leichter damit tun, modellbasierte Lösungen zu akzeptieren und weiterhin als zentrales Element für eine Krisenbewältigung zu betrachten.

Vielleicht zeigt sich gerade jetzt in der Krise, welche Unternehmen es am ehesten geschafft haben, eine derartige Kultur zu etablieren und effiziente Teams aus Daten- und Fachexperten zur Bewältigung der Krise zielgerichtet einzusetzen.

Haben Sie Data Science Kompetenz im eigenen Haus?

Sofern die eigenen Kompetenzen bereits im Haus aufgebaut wurden, Chapeau! Sie befinden sich damit in der glücklichen Lage direkt loslegen zu können und aktiv zu werden. Bringen Sie Ihre Daten- und Fachexperten zusammen und setzen Sie Analyse-, Forecast- und Planungs-Task-Forces auf, um auf Basis der interdisziplinären Kompetenzen die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen. Das Wissen aus bereits existierenden Modellen und die zu erwartenden Geschäftsentwicklung müssen miteinander gekoppelt werden, um eine stabile und verlässliche Aussage über zukünftige Szenarien zu ermöglichen.

Sofern die eigenen Kompetenzen allerdings nicht im Haus verfügbar sind, wäre die Einbeziehung eines externen Partners gerade jetzt empfehlenswert sowie der langfristige Aufbau von Inhouse-Kompetenzen im Bereich der Datenanalyse und -modellierung.

Welche Tools stehen Ihnen zur Verfügung?

“Wenn Dein einziges Werkzeug ein Hammer ist, wirst Du jedes Problem als Nagel betrachten.”

Mark Twain

So oder so ähnlich könnten man das verzweifelte Klammern an archaische Planungsmethoden trefflich umschreiben, die in ihren begrenzten Möglichkeiten der notwendigen Detailtiefe nicht wirklich gerecht werden. Datenanalysewerkzeuge oder -plattformen sind heutzutage technisch relativ schnell einzurichten. Cloud Lösung oder Sandbox-Varianten erleichtern den Einstieg deutlich und können teilweise in wenigen Stunden verfügbar gemacht werden. Und vielleicht erleichtert gerade das Momentum der Krisenzeiten die Einführung von neuen Werkzeugen ein wenig und schafft es, die typischen Verfahrensirrwege durch Compliance, Datenschutz- und andere innerbetriebliche Institutionen ein wenig abzukürzen. Wenn es schon deutschen Schulen und Behörden gelingt, den digitalen Unterricht kurzfristig zu improvisieren (wenn auch nicht vollumfänglich und makellos), dann sollte doch von Unternehmen ähnliches erwartet werden können.

Das Fehlen der geeigneten Werkzeuge sollte daher nicht als Ausrede gelten dürfen, die fehlenden Kompetenzen und Erfahrungen können über externe Partner kompensiert werden.

Fahren auf Sicht - was wir von den Epidemiologen lernen können

Die politischen Entscheidungen innerhalb dieser Krise wurden zu wesentlichen Teilen auf Basis fakten- und modellbasierter Erkenntnisse getroffen. Hierzu war es notwendig Modelle aufzubauen, die aus verschiedenen Einflussfaktoren zusammensetzt wurden, von denen aber bei Weitem nicht alle bekannt waren. Eine stark vereinfachte Darstellung könnte also lauten:

Bekanntes Wissen + unbekanntes Wissen + unerklärbare Effekte = Pandemie-Szenario

Als bekannte Faktoren sind all die Elemente zusammengefasst, die aus bereits vorhandenen Daten für diese Epidemie übernommen werden können und Einfluss auf das Pandemie-Szenario haben. Dies sind z.B. Wissen über die Kontakthäufigkeit von Menschen, Mobilitätsmuster, Verhaltensgewohnheiten oder saisonale Effekte. Unter unbekanntem Wissen wird alles Virus-spezifische verstanden, das nicht ausreichend bekannt ist oder eventuell aus vergleichbaren Virusinfektionen als ein “best-guess” zunächst übernommen wird. Dies sind z.B. die Corona-spezifische Attack-Rate, die Reproduktionszahl, Letalität oder der Faktor für asymptomatische Erkrankungen. Im frühen Stadium der Pandemie sind viele dieser Faktoren unbekannt bzw. nicht verifiziert, weshalb Experten mit Hilfe ihrer Erfahrungen und dem Dialog mit anderen Experten eine Annahme treffen müssen. Diese Schätzungen werden dann permanent mit aktuellen Daten abgeglichen und nachjustiert. So werden über die Zeit hinweg aus unbekannten Faktoren immer präzisere, die allmählich als bekannte Faktoren deklariert werden können. In dieser Phase ist es wichtig, die Modellparameter in kurzen Zyklen zu überprüfen und nachzujustieren.

Ähnlich dürfte die Herausforderung nun bei Unternehmen liegen, die sich nicht einfach auf Modelle aus historischen Daten alleine verlassen dürfen, sondern die Einschätzung aus den Erfahrungen ihrer Fachexperten stärker denn je in die Modelle einfließen lassen müssen und dabei Flexibilität bewahren sollten. So müssen zum Beispiel die Verschiebungen in den Marktanteilen durch Experten antizipiert werden oder eine Abschätzung über das veränderte Kundenverhalten getroffen werden. In kurzen Iterationen sind diese Annahmen mit Hilfe aktueller Daten zu überprüfen und ggf. anzupassen. Wie gelingt dies nun für Machine Learning Verfahren, die im Wesentlichen aus historischen Daten komplexe Zusammenhänge eigenständig erlernen? Da es nicht möglich ist, direkt in die internen Lernalgorithmen einzugreifen, gibt es zwei Ansätze, um dennoch Annahmen der Fachexperten in das Modell einfließen zu lassen:

1. Adjustierung der Trainingsdaten

 

Adjustieren-der-Trainingsdaten


Hierbei werden die Trainingsdaten hinsichtlich der gewünschten Effekte angepasst. Beispielsweise lassen sich so Marktverschiebungen mit Hilfe sogenannter Sampling-Strategien (over- / undersampling) auf den zukünftigen Erwartungswert adjustieren oder Niveauverschiebungen vorab eincodieren. Auch das Erzeugen von neuen Input-Merkmalen, die einen Impuls als neues Feature einfließen lassen, ist möglich -   bleibt aber für die meisten Varianten ein eher schwieriges Unterfangen.

2. Adjustierung der Modellergebnisse

 

Adjustierung-der-Modellergebnisse

 

Auf das Ergebnis der Modelle werden die Impulsvarianten bzw. Korrekturfaktoren angewendet und ergeben hierdurch ein adjustiertes Endergebnis. Techniken aus der Signalverarbeitung, Heuristik oder Zeitreihenanalyse können Impulsverteilungen mit den Modellergebnissen kombinieren und so eine Möglichkeit schaffen, Systematiken aus der Vergangenheit mit neuen Annahmen zu verknüpfen.

Darüber hinaus ist auch ein Wechsel der Modellvariante, z.B. zu klassischen Regressionsmodellen, immer zu erwägen, da dies unter Umständen noch verlässlicher Ergebnisse und mehr Flexibilität liefert.

Fazit

Ja, wie sieht es nun aus das “New Normal” nach Corona? Dass die Glaskugel geschliffen und poliert werden muss ist quasi so sicher wie das Amen in der Kirche. Verfallen Sie aufgrund der Dringlichkeit und Komplexität allerdings nicht in alte Planungsstrukturen zurück, sondern gehen Sie die Herausforderung mit einer Task-Force aus Daten-Experten und Fachleuten an und setzen Sie weiterhin auf die Methoden aus dem Umfeld von Data Science und Machine Learning, als Grundlage für datenbasiertes Planen und Entscheiden. Mit verschiedenen Techniken lassen sich Machine Learning Modelle um das Wissen der Fachexperten erweitern, um so Annahmen und Planungsszenarien für die Zeiten nach der Krise zu modellieren.

Sofern Sie noch nicht gänzlich überzeugt sind oder Ihnen die notwendigen Kompetenzen und Werkzeuge schlichtweg fehlen, kommen Sie auf uns zu, wir helfen Ihnen gerne, sich auf das “New Normal” vorzubereiten.

Erfahren Sie mehr über Machine Learning und KI

 

Dieser Artikel wurde im Rahmen der Blogparade #TheAIFactory des Blogs Ingenieurversteher.de veröffentlicht. 

Themen: Machine Learning

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